Geschichte
Ann Jernberg (1928-1994), die Begründerin von Theraplay, war als Psychologin in Chicago in der sogenannten ‚Head Start‘ Bewegung für die psychologische Betreuung von sozial benachteiligten Kindern verantwortlich. Sie fand heraus, dass die nondirektive Spieltherapie von Virginia Axline solchen Kindern nicht ausreichend helfen konnte, zudem zeitaufwändig und zu teuer war. Sie suchte nach anderen Möglichkeiten, um Kindern mit sozio-emotionalen Störungen zu helfen. Sie entdeckte diese in den ungewöhnlichen therapeutischen Vorgehensweisen der Therapeuten Austin DesLauriers und Viola Brody und kombinierte sie mit den Verhaltensweisen aus hilfreichen und gesunden Eltern-Kleinkind-Interaktionen. Zur Erprobung dieses Therapiemodells suchte sie anfangs Mütter, Sozialarbeiter und Lehrer – kurz Menschen, die initiativ und verantwortungsbewusst waren, spielerisch sein konnten und die Kinder in eine positive Interaktion verwickeln konnten. Mit ihnen machte Ann Jernberg ihre ersten Schritte für eine neue Form der Therapie für sozio-emotional gestörte Kinder und nannte sie „Theraplay“. Danach gründete sie das Theraplay Institut und entwickelte ihr Verfahren immer weiter. Verschiedene andere Theorien wie die beispielsweise die Bindungstheorie, systemische oder psychoanalytische Aspekte bereichern dieses Verfahren seit seiner Entstehung
Theraplay ist heute weltweit ein geschützter Begriff. Sowohl in den USA als auch im deutschsprachigen Raum entstanden und entstehen wissenschaftliche Untersuchungen zum Nachweis der Wirksamkeit von Theraplay.
Inzwischen findet alle drei Jahre ein internationaler Kongress statt, bei dem Theraplay-TherapeutInnen sich über Grundlagenforschung und neue Erkenntnisse informieren können. Seit vielen Jahren veranstalten die deutschsprachigen Theraplay-TherapeutInnen regelmäßig jährlich eine Tagung, um sich auszutauschen und sich fortzubilden.
Wurzeln
Theraplay hat seine Wurzeln in den wissenschaftlichen Theorien der interaktiven kindlichen Entwicklung, in der Bindungstheorie, in der Entwicklungspsychologie, in systemischen und verhaltenstherapeutischen Ansätzen und auch im intuitiven positiven Elternverhalten ihren Kindern gegenüber. Das bedeutet, dass Theraplay aus einer sinnvollen Zusammensetzung verschiedenster bewährter Elemente besteht.
Unterschiede
Wie Jernberg und Booth (1999) ausführen, unterscheidet sich Theraplay von anderen Kindertherapien beispielsweise in folgenden Punkten:
- Die Theraplay-Therapeutin übernimmt komplett die Führung und Leitung der Therapie und der einzelnen Sitzungen, indem sie sehr sorgfältig plant und strukturiert, um auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen zu können. Insofern ist Theraplay eine direktive Spieltherapie.
- Im Gegensatz zu der kindzentrierten Spieltherapie gibt es bei Theraplay nur ein paar Utensilien, keine symbolischen Spielsachen. Das heißt, die Beziehung zwischen Therapeutin und Kind ist unmittelbar, ohne dass Spielzeug als Medium zwischen ihnen steht.
- Andere Kindertherapien stellen das Reden und das Reflektieren über die Probleme in den Vordergrund, nicht so Theraplay. Hier wird miteinander gespielt.
- Vergangenheit und Zukunft sind bei Theraplay kein Thema, die Gegenwart, das Hier und Jetzt hat Bedeutung.
- Anders als in anderen Therapien sind Fürsorge und körperliche Berührung, wie sie zwischen Eltern und Kindern vorkommen, elementare Bestandteile der Interaktion.
- Theraplay bezieht die Eltern konkret mit in die Therapie ein, was manche Kindertherapien vermeiden.
Ziele der Therapie
Die allgemeinen Ziele einer Theraplay-Behandlung:
Bei entwicklungsgestörten Kindern werden Prozesse in Gang gesetzt (z. B. Aufbau des Selbst, die Interaktions- und Kommunikationsfähigkeit, Beziehungsfähigkeit).
Verhaltensauffällige Kinder erhalten Hilfe, damit sie unangemessene Lösungen und Verhaltensweisen durch gesunde, altersangemessene ersetzen, und
- damit sie ein positives Selbstbild und Selbstbewusstsein aufbauen können;
- damit sie Vertrauen in ihre Umwelt bekommen;
- damit die Beziehungen zu ihren Bezugspersonen in eine positive Richtung gelenkt werden, sie zu ihnen eine Bindung aufbauen.
Da aber nun jedes Kind andere Stärken und Schwächen hat, werden die jeweiligen Unter-Ziele gemeinsam mit den Eltern erarbeitet. Ein paar Beispiele:
– So soll das eine Kind z. B. lernen, seine Gefühle besser wahrzunehmen, um sie in den Beziehungen zu anderen Menschen besser ausdrücken zu können,
– ein anderes Kind hat Mühe damit, seine Gefühle zu regulieren und soll lernen, nicht gleich in endlos dauernde Wutausbrüche zu verfallen,
– ein anderes Kind zeigt eine Sprachentwicklungsstörung, deshalb soll es lernen, Menschen anzuschauen und Spaß am sich mitteilen und nachmachen bekommen.
– Manchen Kindern gelingt es nicht, sich selbst wertzuschätzen, sie denken schlecht über sich und handeln entsprechend negativ.
– andere kommen nur schwer aus ihrem ‚Schneckenhaus‘ heraus und sollen Freude daran entwickeln, etwas mit anderen gemeinsam zu machen.
– Es gibt Kinder, die brauchen mehr Mut und Zuversicht, um sich beim Kontakt mit anderen Menschen nicht mehr im Wege zu stehen.
– Andere sollen lernen, aufmerksamer zu sein und sich besser zu konzentrieren, damit sie die Welt/ihre Umgebung besser begreifen.
Wie sieht eine Theraplay-Sitzung aus?
Theraplay besteht aus Ritualen und Spielen. Rituale helfen, das innerlich unsichere oder ängstliche Kind zu stabilisieren und dem impulsiven und chaotischen Kind Halt, Struktur und Sicherheit zu geben. Rituale sind hauptsächlich fürsorglicher Art, aber auch Finger-, Zehen- und Bewegungsverse sowie Singen spielen eine große Rolle.
Die Spiele hingegen lassen die Kinder vor allem neue Erfahrungen machen (z. B. sich besser kennen lernen), neugierig werden und Spaß haben. Am wichtigsten ist aber der Aufbau einer vertrauensvollen und guten Beziehung zueinander.
Welche Spiele dem Kind angeboten werden und wie die Rituale genau aussehen, wird auf jedes Kind und in jeder Stunde maßgeschneidert. Ausschlaggebend ist immer, was das Kind jetzt – also in der konkreten Situation – braucht. Ist es Beruhigung, Trost, Anregung, Aufmunterung, Bewegung, Bestätigung z.B. in Form von Selbstwirksamkeit.
Die Art der angebotenen Spiele und Rituale richtet sich nach dem sozio-emotionalen Entwicklungsstand des Kindes und seinen Bedürfnissen. Das chronologische (tatsächliche) und intellektuelle/kognitive Alter spielt bei Theraplay kaum eine Rolle.
Setting
Theraplay ist eine Kurzzeittherapie. Die durchschnittliche Therapiedauer liegt zwischen 30 und 50 (bei behinderten Kindern entsprechend mehr) halbstündigen, wöchentlich durchgeführten Sitzungen. Sie kann aber auch länger angesetzt werden, um Eltern und Kind so zu begleiten, wie es nötig ist.
Inzwischen gibt es gute Erfahrungen mit intensiven Theraplay-Behandlungen: einer Intensivwoche, bei der die Kinder bis zu zwei Mal täglich behandelt werden wie z.B. bei dem behinderten Robin.
Wenn ein Elternteil nicht an der Behandlung teilnehmen kann oder will, spielt die TherapeutIn entweder allein mit dem Kind oder greift auf eine Ko-Therapeutin, z. B. eine Kollegin zurück.
Meist findet die Behandlung am Boden auf einer Matte o. ä. statt, die Position sollte möglichst so gewählt werden, dass alle Beteiligten sich wohl und sicher fühlen, also sich z. B. anlehnen können. Daher kommt auch manchmal das Sitzen auf Stühlen oder Sofa vor.
Formen von Theraplay
Familien-Theraplay heißt, dass die Bezugspersonen des Kindes (s. o.) einbezogen werden, sie werden informiert oder sie machen mit.
Wird das Kind in einer Einrichtung behandelt, wo Eltern nicht anwesend sind (Heim, Kindergarten, Schulen) wird Einzel-Theraplay durchgeführt.
Die dritte Form ist das Gruppen-Theraplay. Hierbei geht es um ganz unterschiedliche Kombinationen von Gruppen: das kann eine ganze Familie sein, eine Kindergartengruppe, zwei autistische Kinder, Väter und Söhne, sozial schwache Mütter mit ihren kleinen Kindern im Frauenhaus usw.
Indikationen und Kontraindikationen
Theraplay kann durchgeführt werden bei kleinen Kindern, Schulkindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Als Spieltherapie wirkt sie durch die Betonung der Beziehung besonders stark auf die Gefühle (im Gehirn vom limbischen System repräsentiert).
Wir haben Theraplay bisher erfolgreich eingesetzt bei z.B.:
- behinderten Kindern wie Felix
- entwicklungsverzögerten Kindern wie Magdalena
- kleinen, aber auch größeren autistischen Kindern wie Dennis oder Viola
- hyperaktive Kinder wie Felix
- aufmerksamkeitsgestörten Kindern wie Laura
- Kindern, die Mühe mit dem Spracherwerb haben wie Thomas
- Pflege- oder Adoptivkinder, auch in Heimen, mit Bindungsstörungen wie Tim
- Jüngere und ältere hochbegabte Kinder wie Andreas und Klara
- Abwehrende, unkooperative, aggressive Kinder wie Thomas
- Ängstliche, depressive oder scheue Kinder wie David
- Mutistische Kinder wie Alexander
- Sprachverständnisgestörte Kinder wie Philipp
- Kinder mit fetalem Alkoholsyndrom
Theraplay wenden wir meist nicht an bei Kindern
- deren Familien aus kulturell sehr fremden und der jeweiligen Therapeutin nicht bekannten/vertrauten Kulturkreisen stammen.
- die ganz bestimmte Verhaltensweisen zu erlernen haben, sollten die in einer Verhaltenstherapie lernen.
- die nicht auf emotionale Zuwendung reagieren.
- bei denen wenigstens ein Elternteil gegen eine Theraplay-Behandlung ist
- bei fragilen, d.h. psychisch sehr zerbrechlichen Kindern
- bei delinquenten Jugendlichen
Welche Kinder können von Theraplay profitieren?
Nach unseren bisherigen Erfahrungen hilft Theraplay nicht nur Kindern mit Entwicklungshemmungen und –verzögerungen bzw. –behinderungen, sondern auch solchen, die man beschreiben kann als:
- aggressiv
- isoliert
- überbehütet
- bedürftig
- manipulierend
- impulsiv-ablenkbar
- ängstlich
- überangepasst
- „altklug, kleine Erwachsene“
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Eltern
Eltern werden anfangs eingehend über die Therapie informiert. Meist können sie daran teilnehmen. Folgende Möglichkeiten gibt es:
1. Ein Elternteil ist dabei und das hat verschiedene Vorteile. Sie kann mitspielen, gibt dem Kind Sicherheit, Stabilität und Zuneigung, spornt es an, ermutigt es, schützt im Zweifelsfall die TherapeutIn vor hauenden Armen oder tretenden Beinen. Sie kann in den Sitzungen das Bild von ihrem Kind verändern, denn sie erlebt es anders als sonst.
2. Videotechnik macht es möglich, dass Eltern durch Funkübertragung, an der Tür sitzend oder durch eine Einwegscheibe bei der Behandlung zuschauen können.
3. Eltern kommen in regelmäßigen Abständen ohne das Kind und sprechen mit der TherapeutIn anhand der Videoaufnahmen über die Therapie. Dadurch lernen sie sie das Kind und die Therapie besser verstehen, sie erfahren etwas über die Gründe, warum die Therapeutin so und nicht anders handelt. Natürlich werden bei dieser Gelegenheit auch Fragen der Eltern beantwortet oder nach Antworten auf schwierige Situationen zu Hause gesucht. Die Therapeutin lernt dabei, wie das Kind sich zu Hause verändert hat.
Es geschah am Ende der Therapie:
Niklas und Mama kommen zu der letzten, der Abschiedssitzung. Die Mama sagt lachend: „Ich weiß, warum die Kinder so gerne hierher kommen!“
Ich sage zu Niklas: Sollen wir die Mama fragen, warum?“
Niklas: „Ja“
Mama: „Weil die Kinder hier…“ und Niklas ergänzt: „so viel Spaß haben“.