Gedanken und Fragen von Eltern für Eltern zur Theraplay-Therapie ihres Kindes
Herr W. schreibt über seinen Sohn Thomas und über Theraplay:
Thomas ist anders, Thomas ist gut
Wo soll ich anfangen? Ganz am Anfang, bei seiner Geburt? Auch da war er schon anders als sein Bruder. Thomas wirkte dünn, war rosig und schrie, laut und vernehmbar. Das Schreien wurde in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten unser Begleiter – es gehörte zu Thomas, aber die Ärzte sagten, dass mit dem Kind alles o.k. sei. Er entwickelte sich „normal“, wirkte aber sehr dünn und lag immer an der Untergrenze der Gewichtsskala. Er lallte, krabbelte und saß – eigentlich alles „altersgerecht“, aber irgendwie war er anders.
Frau R. schreibt über die Theraplay-Therapie mit ihrem Sohn Aljosha:
für mich neu und ungewöhnlich war, dass alle Beteiligten also Mutter, Kind und Therapeutin zur Therapie auf dem Boden saßen. Im Nachhinein denke ich, eine sehr sinnvolle Konstellation. Ich empfand jede Stunde mit Aljosha bei ihnen als Lehrzeit für mich als Mutter, als Mensch. Bei ihnen traf man immer auf Ruhe, Verständnis, auf ein sachtes, rücksichtsvolles Miteinander. Hier war ein geschützter Raum, hier wurde vorgelebt wie mit Kindern, eigentlich ganz gleich, ob völlig gesunde oder in irgendeiner weise gehandicapte Kinder umzugehen ist. Erwachsenen sollte man ebenso begegnen. Es wurde jederzeit auf die Bedürfnisse von Aljosha liebevoll geachtet, gesetzte Grenzen konnten so einfachst eingehalten werden – ohne drohende Ermahnung oder sonstige erzieherische Massnahmen wie man sie aus dem gestressten Familienalltag kennt. Für Aljosha waren die gewohnten Rituale wichtig. So war er jeden Dienstag gespannt, wie er wohl heute den Therapiebereich erreichen wird – hüpfend, kriechend oder auf einer Decke hinter ihnen hergezogen? Am Anfang jeder Stunde wurde er liebevoll „verarztet“, im April 2011 ließ er es zum ersten Mal zuhause zu, dass etwas Creme in sein Gesicht durfte. Ich war den Tränen nahe. Besonders liebte er es, seine Grenzen in ihren gemeinsamen Kämpfen auszutesten. Begegnung mit Farben, Wasser, Papier in allen Varianten, phantasievolle Spiele führten meinen Sohn zu sich selbst. Und mich dazu, immer genau hinzusehen und hinzuhören. Auch heute noch denke ich oft daran wie Sie immer mit unendlicher Geduld auf seine Erzählungen eingegangen sind, und er nie das Gefühl haben musste, er sei nicht nicht wichtig oder nicht würdig, dass man ihm Zeit und Beachtung schenkt. Wie oft werden Kinder im Alltag „überhört“, für nicht wichtig eingestuft, wie oft verschiebt man Dinge auf später weil sie jetzt gerade nicht wichtig sind. Falsch. Für uns Erwachsene ist es vielleicht gerade nicht wichtig, aber was ist mit dem Kind? Bei mir hat sich mir Ihr Umgangsmuster dermassen eingeprägt, dass ich in den meisten Fällen, ich will nicht übertreiben und sagen in allen, zuhöre, nachfrage, meine Kinder aussprechen lasse – auch wenn ich vielleicht selbst gerade wirklich nicht in der Verfassung dazu bin.
Aljosha ist zwischenzeitlich bereit, Kompromisse einzugehen, er erträgt es, wenn Dinge sich ändern oder Termine verschoben werden und er spürt es, wenn ich traurig bin. Ich würde bei Notwendigkeit diese Therapie sofort erneut beginnen.
Das Elternpaar H. hat mit seinem Sohn an einer Intensivwoche Theraplay in Potsdam im August 2017 teilgenommen und folgenden Bericht dazu verfasst:
Die positiven Eindrücke für alle Beteiligten an dem Intensiv-Theraplay-Workshop sind sehr vielschichtig.
Hierzu gehören:
Der intensive, warme Umgang zwischen den Kindern und Eltern, den Kindern und den Therapeuten und den Eltern und Therapeuten. Jeder Therapeut ist individuell auf die Kinder und deren Eltern eingegangen, was zur Folge hatte, dass in der Woche fast eine kleine Familie entstand und wo jeder die Möglichkeit hatte seine Ängste aber auch die Entwicklungen seines Kindes zu lernen und zu erleben.
In den Vordergrund sollte man jedoch die Therapieform „Theraplay“ stellen. Es ist einfach sensationell wie wir Eltern in die seelische Verfassung und der Freude unserer Kinder mit dem jeweiligen Therapeuten eintauchen durften. Durch diese Harmonie und Freude wurden wir Eltern sehr schnell in die Welt unserer Kinder abgeholt. Es entstand dadurch für alle Beteiligte ein Wohlbefinden, dass nur schwer in Worte zu fassen ist. Dies ist nur möglich, wenn man dabei ist und es unmittelbar erlebt. Meine Frau und ich sind für diese Woche sehr dankbar und glücklich. Wir haben dadurch noch eine weitere Möglichkeit gefunden, wie wir mit unserem Sohn auf seiner Ebene kommunizieren können.
Vergessen möchten wir auch nicht die zahlreichen Gespräche mit anderen Eltern, deren Kinder ähnliche Handicaps haben. Durch diese Gespräche wurden Brücken gebaut, Ängste abgebaut und vor allem die Motivation gegeben, über das „Anderssein“ unserer Kinder offen zu sprechen. Auch das Zusammenspiel der Kinder wurde gefördert und von Tag zu Tag besser, intensiver und auf einer Harmoniewelle zu beobachten, sodass man dies gerne immer und immer wieder erleben möchte. Auch hier sei Dank an alle Therapeuten und Organisatoren.
Meine Frau, unser Sohn und ich (ggf. auch unsere beiden anderen Kinder) sind jedenfalls beim nächsten Workshop dabei.
Wie kann Theraplay meinem Kind helfen, das eine Störung aus dem autistischen Spektrum hat?
Unabhängig von Alter und Entwicklungsstand sollte ein Kind mit einer autistischen Störung immer Hilfen bekommen, wie es sich mit anderen Menschen in einer erfreulichen Art austauschen kann. Neurologische Probleme und Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen machen es besonders schwierig, wenn das Kind mit anderen Kindern sozialen Kontakt zulassen oder aufnehmen soll. Dabei geht es um Sprache, um Körpersprache, um Mimik, auf die reagiert oder die aufgenommen werden muss. Einem autistischen Kind fällt es dazu noch sehr schwer, aus seinen Erfahrungen zu lernen.
Bei Theraplay spielt man in einer bestimmten Art mit dem Kind. Dadurch kann es nach und nach neue Erfahrungen machen, wie man miteinander umgehen kann und die Eltern lernen beim Zuschauen, wie sie mit ihrem Kind, das sich am liebsten zurückzieht, gemeinsam erfreulich miteinander spielen können.
Was passiert nun speziell in einer Theraplay-Stunde?
Das Kind sitzt der Therapeutin gegenüber, entweder vor der Mutter oder Ko-Therapeutin oder in einem Sitzsack auf einer Matte, damit sie gute Möglichkeiten zum Blick- und Körperkontakt haben können. Die Therapeutin spielt mit dem Kind, aber ohne symbolisches Spielzeug. Wichtig ist der Kontakt zueinander, der aussieht, wie bei Müttern mit ihren kleinen Kindern. Die Spiele werden für das jeweilige Kind und seine Stärken und Schwächen, seine Empfindlichkeiten und Bedürfnisse ausgesucht. Autistische Kinder brauchen durch ihre Art der Störung eine sorgsame und langsame Vorgehensweise, damit sie besser verstehen und auch behalten können. Sie mögen Aktivitäten, die sich wiederholen, weil sie sie besser verstehen können, sie ihnen vertrauter vorkommen. Daher baut die Therapeutin in einer liebevollen Weise Rituale auf, die das Kind sicherer machen. Das sind Verslein, Bewegungsverse, füttern, Heile Segen eincremen u.a. Nach und nach, wenn das Kind soweit ist, bietet sie ihm immer wieder kleine Spiele an, wie seine eingecremten Hände festhalten und herausziehen lassen. Oder sie versteckt kleine Tierchen an ihm und lässt sie suchen. Da die Aufmerksamkeit und die Fähigkeit, sich in Interaktionen einzulassen, so unterschiedlich bei den autistischen Kindern und ihrer Tagesform ist, muss sie alles immer wieder anpassen. Ein Spiel verändern, ein anderes kürzen, ein drittes wiederholen. Sie wird bei größerer Empfindlichkeit des Kindes leiser, dann wieder lauter sprechen, um seine Aufmerksamkeit wieder zu erlangen.
Mein Kind würde lieber alleine mit ganz bestimmten Spielsachen spielen. Soll ich es zwingen, anders zu spielen?
Dass ein autistisches Kind am Anfang diese Art der Theraplay Spiele und Interaktionen, mit denen es noch nicht vertraut ist, skeptisch gegenüber steht, ist verständlich und oft der Fall. Doch die Theraplay-Therapeutinnen gehen solche Veränderungen so langsam an, wie ein Kind das braucht. Wir glauben aber, dass es mehr isoliert sein wird, wenn wir es alles so tun lassen, wie es will. Wir denken, es braucht liebevolle Führung und Anregungen, um aus seinem „Für-sich-sein“ wieder herauszukommen. Theraplay-Therapeutinnen sind sensibel und achten sehr darauf, dass die Führung nicht hart und zwanghaft, sondern liebevoll ist. Ist das Kind aufgeregt oder ärgerlich, dann beruhigen und trösten sie es, wie Sie als Eltern es auch tun würden. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das Kind nach ein paar Sitzungen zeigt, dass es beginnt, Spaß zu haben an unseren Spielen. Dass es langsam lernt, uns zu vertrauen. Dann ist es nicht mehr so angespannt, schaut öfter und beginnt auch mal zu lächeln.
Ist Theraplay eine Art Verhaltenstherapie?
Bei Theraplay versuchen wir auch, Verhalten zu verändern. Wir übernehmen von der Verhaltensmodifikation gewisse Werkzeuge dazu. So „übersehen“ wir Verhaltensweisen, die nicht passend sind (z.B. Ticks) oder wir verhindern gewisse unpassende Verhaltensweisen (z.B. schlagen), indem wir den Arm kurz festhalten. Aber viel mehr Beachtung wird dem Aufbau der sozialen Verhaltensweisen geschenkt, die die Kindern beim Miteinander mit anderen Menschen brauchen. Das sind Blickkontakt, das gegenseitige Mitmachen, das Nachmachen, der Aufbau der Sprache, der Körperkontakt.
Anders wie bei der Verhaltensmodifikation versuchen wir bei Theraplay den Kindern ein Gefühl des Selbst, das Bewusstsein vom Selbst-Sein zu geben. Sie lernen ihren Körper erst einmal kennen, spüren, sie erfahren, was sie mit ihrem Körper machen und wie sie ihn empfinden können. Ohne das Körper-Selbst kann das Kind kein Ich-Bewusstsein und Sprache entwickeln.
Mit welchem Zeitaufwand
muss ich bei einer Theraplay Therapie mit meinem autistischen Kind rechnen?
Die Evaluationsforschung zur Wirkung von Theraplay hat gezeigt, dass das soziale Interaktionsverhalten von autistischen Kindern sich durchschnittlich nach 27 Theraplay Sitzungen signifikant verbessert hat.
Zwar ist Theraplay eine Kurzzeittherapie, aber oft brauchen autistische Kinder bis zu ca. 40 (oder je nach Kind mehr) Theraplay Sitzungen, wenn einmal pro Woche 30 Minuten behandelt wird. Es gibt aber auch ermutigende Ergebnisse bei Intensivbehandlungen wie 9-10 Sitzungen pro Woche).
Verglichen mit anderen Therapien für autistische Kinder ist das wirklich noch eine kurze Zeit. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kinder mit frühkindlichem Autismus nach Theraplay mehr von anderen, darauf aufbauenden Therapien (Verhaltenstherapie, Logopädie) profitieren können, weil sie zugänglicher und kommunikativer geworden sind, besser verstehen.
In welchen Bereichen und wie verändern sich autistische Kinder durch Theraplay?
Die Ergebnisse unserer Forschung weisen auf eine Verbesserung der Kooperation, der Empathie (Einfühlsamkeit) und auf die Zurückgezogenheit hin. Außerdem verbesserte sich die Aufmerksamkeit und die allzu ruhigen Kinder sind aktiver geworden. Bei den Ängsten hat die Trennungsangst abgenommen. Deutlich besser konnten die Kinder Spielen und sie zeigten weniger merkwürdige Gewohnheiten. Obgleich Sprache nicht im Vordergrund stand, hat sich sowohl die Artikulation als auch das Sprachverständnis verbessert.
Ulrike Franke